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„Strategie ist nicht zielführend“
Die Ernährungsstrategie „Gutes Essen für Deutschland“ vom BMEL wurde Mitte Januar vom Bundeskabinett beschlossen. Die in der Strategie enthaltenen ernährungspolitischen Maßnahmen sollen insbesondere die Verpflegung in Kitas, Schulen und Kantinen verbessern sowie Food-Waste reduzieren. Doch es gibt auch Kritik an der Ernährungsstrategie.

GastroSpiegel, 19.01.2024 – Sechs Ziele beinhaltet die Ernährungsstrategie, die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erarbeitet und Mitte Januar vom Bundeskabinett beschlossen wurde: Neben der Verbesserung der Gemeinschaftsverpflegung (GV), der Reduzierung der Lebensmittelverschwendung und der Stärkung einer pflanzenbetonten Ernährung sind dies der sozial gerechte Zugang zu gesunder und nachhaltiger Ernährung, die Unterstützung einer angemessenen Nährstoff- und Energieversorgung und Bewegung sowie die Erhöhung des Angebots nachhaltig und ökologisch produzierter Lebensmittel.

Umsetzung bis 2050

Unter dem Titel „Gutes Essen für Deutschland“ bündelt die Strategie rund 90 geplante und bestehende ernährungspolitische Maßnahmen, die „mit einem Zielhorizont bis 2050“ ressortübergreifend kurz-, mittel- und langfristig umgesetzt werden sollen, teilt das BMEL in einer Stellungnahme mit. Ziel der Strategie sei, gutes Essen für alle Menschen in Deutschland leichter zugänglich zu machen.

Die Bundesregierung möchte sich insbesondere für vielseitiges Essen in Kitas, Schulen und Kantinen und ein reicheres Angebot an gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln in Supermärkten einsetzen. Dabei soll laut BMEL eine vielseitige Ernährung mit viel Gemüse und Obst gestärkt und die Verschwendung von Lebensmitteln „deutlich und nachhaltig“ gesenkt werden.

Chance auf gesunde Ernährung

„Ich will, dass jeder eine echte Wahl für gutes Essen bekommt“, betont Bundesernährungsminister Cem Özdemir anlässlich des Beschlusses durch das Bundeskabinett. Er bekräftigt: „Leckeres, gesundes und nachhaltiges Essen darf nicht vom Geldbeutel abhängen oder davon, aus welcher Familie man kommt. Mit der Ernährungsstrategie der Bundesregierung schaffen wir Angebote, die allen gutes Essen ermöglichen. Entscheiden muss sich dann jeder selbst, da hat niemand jemandem etwas vorzuschreiben.“ Aufgabe der Politik sei es dem Ernährungsminister zufolge, dafür zu sorgen, dass jeder in der Bevölkerung „eine echte Wahl“ habe, „denn das ist auch eine Frage der Chancen-Gerechtigkeit“, erklärt Özdemir.

Maßnahmen für die GV

Um allen den Zugang zu gutem Essen zu ermöglichen, soll mithilfe der Ernährungsstrategie die Wissensbasis zur Ernährungsarmut verbessert, die Ernährungssituation in armutsgefährdeten Haushalten mit Kindern besser verstanden und interministeriell noch besser zusammengearbeitet werden. Ein vielseitigeres Essen in Kitas und Schulen soll beispielsweise durch verbindliche Ernährungsstandards und Beratung, die Förderung von Schulküchen und Trinkwasserspendern sowie Ernährungsbildung für Kinder und Erziehende gefördert werden.

Um die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, werden laut BMEL unter anderem verbindliche Ziele entlang der Lebensmittelkette angestrebt sowie die Information und Unterstützung von Verbrauchern. Auch die Forschung soll ausgeweitet werden, etwa durch ein nationales Ernährungsmonitoring und den Aufbau eines modernen, permanenten Lebensmittelmonitorings. Darüber hinaus leiste die Strategie einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherheit der Zukunft, die durch Kriege, Klimakrise und Artensterben gefährdet sei, ergänzt das BMEL. So trage die Strategie dazu bei, „die nationalen und internationalen Klima-, Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung zu erreichen“.

Geplante Maßnahmen greifen zu kurz

Kurz nach dem Beschluss äußerten sich mehrere Verbände und Interessensvertretungen zur neuen Strategie. Barbara Bitzer, Sprecherin des Wissenschaftsbündnisses Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft, begrüßt zwar grundsätzlich die Bemühungen des BMEL im Rahmen der Ernährungsstrategie. Mit Blick auf die Aspekte geringere Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel oder eine verpflichtende Herstellerabgabe auf gesüßte Getränke „hält sich unsere Euphorie in Grenzen“, stellt Bitzer klar.

Sie ist der Meinung: „Eine Ernährungsstrategie ohne fiskalische Instrumente greift zu kurz.“ Die DANK-Sprecherin wünscht sich vielmehr, „dass die geplanten Regelungen zum Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung, die der Bundesernährungsminister bereits im Februar 2023 vorgestellt hat, endlich umgesetzt werden und sich an einer umfassenden Uhrzeitenregelung orientieren.“

Gesamte Wertschöpfungskette ist nicht berücksichtigt

Als „enttäuschend“ bezeichnet Sabine Eichner, Geschäftsführerin Deutsches Tiefkühlinstitut (Dti), die geplanten Maßnahmen des BMEL. „Statt die Unternehmen und die Mitarbeitenden der Lebensmittelwirtschaft mit dem absurden Frontalangriff vor den Kopf zu stoßen, eine gute Ernährung sei in Deutschland erst in über 25 Jahren möglich, hätten wir uns endlich eine überzeugende ernährungspolitische Strategie für die gesamte Wertschöpfungskette gewünscht, die auch die Perspektive der Produzenten miteinbezieht“, führt Eichner aus.

Sie fragt: „Wo bleiben die Vision und der Mut, den Ernährungssektor mit seinen hervorragenden Lebensmitteln endlich mit ‚Wumms‘ zukunftsfest aufzustellen?“ Auch bleibe laut der Dti-Geschäftsführerin die Politik die Antwort auf die Kernfrage der Lebensmittelindustrie schuldig, nämlich: „Wie trägt die Bundesregierung dazu bei, dass unsere Unternehmen weiterhin erfolgreich hochwertige, nachhaltige, sichere und vor allem bezahlbare Lebensmittel produzieren können?“

Verbote und Vorgaben belasten die Branche

Ähnlich äußert sich auch Markus Suchert, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Systemgastronomie (BdS), zur Ernährungsstrategie. Der Verband begrüße „jegliche Bestrebungen der Bundesregierung, für alle Menschen eine gute Ernährung leichter zugänglich zu machen und die Verschwendung von Lebensmitteln nachhaltig zu senken“. Verbote und weitere regulatorische Vorgaben seien in der aktuell herausfordernden Situation jedoch nicht zielführend, ist Suchert überzeugt. Diese würden die Unternehmend der Branche „noch mehr belasten und ihre Wirtschaftlichkeit weiter bedrohen“.

Auch im Hinblick auf die Gäste im Außer-Haus-Markt äußert der BdS-Hauptgeschäftsführer Bedenken und befürchtet eine „Bevormundung“ dieser sowie „eine Kategorisierung der Speisenangebote in gut oder schlecht“. Er erklärt: „Vielmehr sollte man mehr in die Menschen vertrauen, in ihr Verständnis investieren und sie für eine ausgewogene Ernährung sensibilisieren.“

Die Ernährungsstrategie der Bundesregierung kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ernaehrung/ernaehrungsstrategie-kabinett.html#

jb


Hintergrund der Ernährungsstrategie
Entsprechend einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag von SPD, Grüne und FDP wurde die Ernährungsstrategie mit Fokus auf die Verbesserung der Ernährungssituation für Kinder und Jugendliche basierend auf strategischen und wissenschaftlichen Arbeiten entwickelt. Verfasser dieser Arbeiten sind unter anderem der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim BMEL, das Umweltbundesamt und die Zukunftskommission Landwirtschaft. Beteiligt an der Erarbeitung der Strategie waren Vertreter aus Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft, Verbraucherschaft, Gesundheitssektor, Umweltschutz und Zivilgesellschaft.

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